Wozu Väter gut sind

Fast alle jungen Männer, die heute eine Familie gründen, wollen nicht mehr in der Rolle des Alleinernährers und Arbeitsmanns aufgehen. Sie wollen präsente Väter für ihre Kinder sein.

Väter werden oft zu einer „Randerscheinung“

Trotzdem "läuft es" - und nicht allein nur als Folge von Trennung oder Scheidung - immer wieder so, dass sie den Kontakt zu ihnen verlieren und in den Familien zu einer Randerscheinung werden.

Womit hat das zu tun? Hier kommt eine Entwicklung zum Tragen, die mit der Industrialisierung eingesetzt hat. Diese hatte eine Trennung von Familie und Erwerbsarbeit zur Folge. Während im bäuerlichen und im handwerklichen Betrieb früherer Zeiten und auch die Frau an der existenzsicherenden Arbeit teilhatte, und auch der Mann für die Kinder erreichbar war, mussten nun die Männer zur Arbeit aus dem Haus gehen, wodurch die Frauen in ihren Aktivitäten ganz auf Familie und Kinder eingeschränkt wurden. Durch die Industrialisierung hat unsere Gesellschaft teilweise wieder Züge einer Nomadengesellschaft von Sammlern und Jägern angenommen, ein Trend, der durch die heutige Globalisierung weiter verstärkt wird. Nomadengesellschaften aber waren seit je patriarchale Gesellschaften: Der Mann geht nach Draußen, kämpft und siegt und bringt die eroberte Beute nach Hause, wo ihn die Frau, die sich in der Zwischenzeit um den Nachwuchs gekümmert hat, empfängt, ihn versorgt und wieder aufbaut, damit er am nächsten Tag zu neuen Taten aufbrechen kann. Möglicherweise reicht dieses Muster, weil es in der Menschheitsgeschichte sehr weit zurückgehen dürfte, sogar in die genetische Ausstattung der Männer hinein und kann darum durch entsprechende äußere Verhältnisse leicht aktiviert werden.

Diese sind in unserer Gesellschaft durchaus gegeben: Durch die deutsche Kriegs- und Nachkriegsgeschichte waren viele Familien durch den Tod der Männer vaterlos, und der Wiederaufbau in der Nachkriegszeit hatte häufig psychisch abwesende Väter zur Folge. Viele heutige Männer haben nie das Modell eines präsenten Vaters erlebt und sind deshalb bei ihren Versuchen, es anders machen zu wollen, sehr allein gelassen. Zur fehlenden Unterstützung durch ein lebendiges inneres Modell kommen die bereits erwähnten Anforderungen einer sich globalisierenden Wirtschaft, die die totale Verfügbarkeit des Mitarbeiters fordert. Wenn der Mann eine Familie hat, wird nach dem Muster der Jäger- und Sammlergesellschaft angenommen, dass er Zuhause eine Frau als Hüterin des Herdes und der Kinder hat. Diese "Frau Zuhause" gibt es aber immer seltener. Denn die ist meist ebenso gut ausgebildet wie er selbst und will ihren Beruf daher auch ausüben.

Unter psychologischen Aspekten ist dies eine Entwicklung, durch die großer Schaden angerichtet wird. Für eine gesunde Entwicklung der Kinder geht durch die Randstellung oder das Verschwinden des Vaters eine wesentlicher Faktor verloren. Welche Bedeutung der Vater für diese Entwicklung des Kindes hat, wird uns heute durch Familienforschung und Familientherapie immer deutlicher bewusst. Die wichtigsten Punkte seien im Folgenden kurz zusammengefasst.

Die Bedeutung des Vaters für die Entwicklung des Kindes

  • Väter sind wichtig für die emotionale Versorgung schon der ganz kleinen Kinder.
    Die Psychologie früherer Jahre, vor allem die Tiefenpsychologie, hat in einer übertriebenen Weise die Bedeutung der Mutter-Kind-Beziehung betont. Durch die heutige Säuglingsforschung wird demgegenüber deutlich, dass Babies schon von Anfang an viel selbstgesteuerter und zielstrebiger sind, als früher angenommen. Sie holen sich über nonverbale Signale, Blicke, Körperausdruck, was sie brauchen. Dabei beschränken sie sich keineswegs auf die Mutter. Die Mutter-Kind-Symbiose scheint nicht so zentral zu sein, wie sie früher hingestellt wurde. Das heißt: Stillen kann zwar nur die Mutter, aber für die emotionale Versorgung im weiteren Sinn ist der Vater genau so gefragt wie sie. Es kommt seiner Bindung an das Kind und der des Kindes an ihn sehr zugute, wenn er schon sehr früh„ innigen, auch körperbetonten Kontakt zum Kind pflegt. Der Vater 'ist für die emotionale Versorgung des Kleinkindes genauso wichtig wie die Mutter!
  • Der Vater leistet einen wichtigen Beitrag zur Autonomie-Entwicklung des Kindes.
    Vater - Mutter - Kind bilden eine "Dreiergruppe" (Triade), die im Vergleich zu einer Dyade (Zweierkonstellation) das erheblich kompliziertere und konfliktträchtigere Gebilde ist. Denn bei der Triade kann leicht eine Zwei-zu-Eins-Situation entstehen. Aber gerade dadurch kann die Triade auch besonders produktiv werden. Eine Zweierbeziehung ist gestaltet sich zwar eher harmonisch, aber sie hat auch die Tendenz zur Ausschließlichkeit und zu übermäßiger Bindung. Wir kennen alle die "Muttersöhne", die ein Leben lang von der ersten Frau in ihrem Leben nicht loskommen. Ist der Mann als Vater für das Kind präsent, ist da noch eine wichtige Bezugsperson, die ihm Beziehungsangebote macht. Das Kind ist dann nicht allein auf einen Menschen angewiesen. Es bekommt Wahlmöglichkeit und macht die wichtige Lernerfahrung: Es gibt Alternativen. Ich kann wählen - und ich kann nach meinen Bedürfnissen wählen. Das ist eine zentrale positive Grunderfahrung für seine Autonomieentwicklung, die der Vater als präsente Bezugsperson für das Kind ermöglicht. Der Vater ist wichtig für die Entwicklung einer vollständigen Geschlechtsidentität des Kindes.

Väterliche Liebe hat eine andere, eben männliche Qualität als mütterliche Liebe

Wir können auch sagen: Väterliche Energie fühlt sich - auch für das Kind - anders an als mütterliche Energie. Beides ist eine wichtige Nahrung für das Leben und die Entfaltung des Kindes zum Mann oder zur Frau, und wir wissen ja, dass einseitige Ernährung niemals gut tut.

Für das Mädchen ist der Vater der erste Mann, dem es in seinem Leben begegnet. Seine innige, auch körperlich zum Ausdruck gebrachte Liebe, vermittelt die erste prägende Erfahrung: Als Mädchen bin ich etwas Erfreuliches, Schönes, Liebenswertes für einen Mann. Das legt den Grund für einen guten, selbstbewussten Kontakt zu Männern und für ein elementares weibliches Selbstvertrauen Männern gegenüber.

Für den Jungen wiederum ist der Vater der erste Vertreter des eigenen Geschlechts, dem er in seinem Leben begegnet. Wenn er sich von ihm beachtet, wertgeschätzt, "berührt" im wörtlichen wie übertragenen Sinn erfährt, wird er sich später in seinem eigenen Geschlecht zuhause fühlen. Die Wertschätzung des Vaters führt zur Bejahung des eigenen Geschlechts. Ich erlebe viele Männer, die immer noch - verdeckt hinter Leistungsansprüchen und übertriebenem Ehrgeiz - der väterlichen Zuwendung nachjagen, die sie als kleine Jungen nicht erfahren haben, und die von einem tiefen Unwertgefühl als Mann geplagt werden.

Für die Entwicklung des Jungen ist es von entscheidender Bedeutung, dass er im Verlauf der ersten Jahre den "mütterlichen Bereich" verlassen und seinen Platz "beim Vater" einnehmen kann. Früher wurde dieser Entwicklungsschritt mit lnitiationsriten umgeben und manchmal sehr drastisch markiert, heute fällt er vielfach unter den Tisch, nicht nur weil uns heute entsprechende Rituale fehlen, sondern weil der Vater, an dessen Seite der Junge treten sollte, gar nicht "vorhanden" ist. Ein präsenter Vater hilft dem Jungen bei seinem Übergang in den väterlichen Bereich und verhindert damit eine Fehlentwicklung zum "Muttersohn".

Der Vater ist eine Quelle emotionaler Zuwendung.

Es ist also für Kinder generell, in besonderem Maß aber für die Jungen, wichtig, dass der Vater nicht nur als vages Sehnsuchtsbild, sondern in seiner physisch-psychischen Anwesenheit eine attraktive Alternative zur Mutter darstellt, eine zweite, andersartige, aber ebenso ergiebige Quelle emotionaler Zuwendung. Dies stärkt auch die Paarbeziehung: Häufig ist zu beobachten, dass die erotische Liebe der Frauen zu ihren Männern an deren Desinteresse für das gemeinsame Dritte, die Familie, stirbt. Das Engagement der Männer als Väter kommt in der Regel der Liebe des Paares zugute, und damit indirekt natürlich auch den heranwachsenden Kindern. Denn das günstigste Klima für das Gedeihen der Kinder in einer Familie ist dann gegeben, wenn Vater und Mutter sich auch .als Mann 'Und Frau mögen und eine emotional stabile Beziehung zueinander haben.

Wann sind Väter "anwesend"?

Was ist gemeint, wenn hier von der "Präsenz" des Vaters gesprochen wird?
Um im Bewusstsein der Kinder präsent zu sein, braucht es natürlich als erstes ein gewisses Quantum Zeit für sie. Ich verkenne nicht, dass es für viele Männer aufgrund ihrer beruflichen Situation schwierig ist, dieses aufzubringen. Dennoch stelle ich immer wieder fest: So unmöglich, wie viele das hinstellen, ist es nicht. Es gibt Freiräume, die man sich verschaffen kann. Man muss allerdings lernen, den privaten Kontakten im eigenen Leben mindestens eine ebenso hohe Priorität einzuräumen wie dem Beruf. Und: Man muss lernen, auch mal Nein zu sagen und sich abzugrenzen. Dazu fehlt es nicht wenigen an Mut und auch an kommunikativer Kompetenz. Aber beides lässt sich üben und lernen. Oft ist der Terminkalender, in den ich einen Termin mit meinem Sohn genau so verbindlich eintrage wie einen mit meinem Chef eine wirksame Unterstützung dafür. Die Nicht-Präsenz der Männer Zuhause entwickelt sich oft auch aus einer unglückseligen Wechselwirkung: Je weniger der Vater Zuhause ist, desto mehr arrangieren sich Frau und Kinder ohne ihn. Wenn er dann nach Hause kommt, fühlt er sich wie ein Fremder, manchmal überflüssig, sogar störend. Um das zu vermeiden, bleibt er lieber noch ein wenig länger im Geschäft. Aus dieser Dynamik heraus reduziert sich oft seine Zeit Zuhause und weniger aufgrund vorgeblicher Arbeitsfülle.

Qualität vor Quantität

Darüber hinaus: Das Zeitquantum ist nur ein Aspekt. Ach wenn dieses knapp ist, kann durch die Qualität der mit den Kindern verbrachten Zeit vieles aufgewogen werden. Die pure Anwesenheit des Vaters macht es ja nicht: Wenn er zum Beispiel im Hobbykeller oder hinter dem PC verschwindet oder vor dem Fernseher versackt, haben die Kinder nichts von ihm, auch wenn er physisch da ist. Es kommt auf die Qualität des Kontaktes an. Die erfordert allerdings ein engagiertes "Sich-Einlassen". Natürlich braucht der Mann auch Erholung und Entspannung, wenn er nach Hause kommt. Aber häufig werden die zu einseitig in passivem Konsum gesucht oder in qualitativ minderwertigen Tätigkeiten, die leer zurücklassen und nicht wirklich regenerieren. Demgegenüber kann es einen sehr regenerierenden Effekt haben, sich mit Energie und Engagement auf etwas ganz anderes einzulassen als es das ist, was ich die Stunden vorher gemacht habe. Ich zapfe damit andere, ungenutzte Energiereservoire in mir an und mache sie mir zunutze. Der Erholungseffekt kann viel größer sein, als wenn ich alle Viere von mir strecke, oder mich ganz auf mich selbst zurückziehe. Der Kontakt zu den Kindern führt mich in eine ganz andere Welt, und wenn auch der Schritt da hinein nach einem arbeitsreichen Tag mühsam ist, kann es sich dann auch unter dem Aspekt der Erholung und Regeneration lohnen.

Als Vater anwesend sein, heißt weiter, dass ich gebe, was ich als Vater und Mann zu geben habe. Und wahrscheinlich ist das etwas anderes als das, was die Mutter gibt. Es hat auf jeden Fall eine andere, eben männliche Qualität.

Ich höre immer wieder von Situationen wie dieser: Der Vater hat eine Wochenende mit den Kindern allein verbracht. Es ist alles ganz anders gelaufen, als die Mutter es sich vorgestellt hat, dass es laufen müsste. Trotzdem sind die Kinder bester Laune, als sie nach Hause kommt.... Väter sollen auf das achten, was ihnen mit den Kindern liegt und Spaß macht - und das mit ihnen - jedenfalls auch - tun. Wenn sie nur das tun, was sie "sollen" wird die Beziehungsqualität darunter leiden. Was sie mit den einzelnen Kindern verbindet, ist höchstwahrscheinlich auch etwas anderes als bei der Mutter. Diese spezifischen Besonderheiten ihrer Beziehung zu den Kindern dürfen sie sich erlauben, auch zu leben, es bereichert beide. Ihr Leben und das der Kinder.

Das väterliche Engagement wird aus einer lästigen Verpflichtung zu einer persönlichen Bereicherung

Auf diesem Weg wird das väterliche Engagement aus einer lästigen Verpflichtung zu einer persönlichen Bereicherung. Viele abwesende Väter sehen nicht, dass die Entwicklung von Väterlichkeit für sie ganz persönlich auch einen individuellen Gewinn darstellt. Bei der Frage "Will ich einmal Kinder in die Welt setzen?" wird dieser Aspekt von jungen Männern oft übersehen. Sie sehen nur die Einschränkung und den Verzicht. Vater-Sein stellt eine ganz persönliche Bereicherung dar. Nicht nur deshalb, weil von mir etwas auf eine verjüngte, vitale und kraftvolle Weise in die nächste Generation weitergeht - auch das ist, je älter man wird, etwas zutiefst mit Sinn Erfüllendes. die Bereicherung besteht auch in einem Zugewinn an Lebensqualität hier und heute. Vater für Kinder sein, bedeutet unter anderem zu lernen, anderen Orientierung zu geben, Fürsorge und Verantwortung für andere zu übernehmen und geben zu können, ohne gleich etwas dafür haben zu müssen. Das sind wertvolle menschliche Qualitäten, die nicht zuletzt dazu befähigen würden, Führungsrollen im öffentlichen Leben zu übernehmen. Die menschlichen Qualitäten für Führung lernt man als Vater am allerbesten.

Die Zeiten, in der die Frauen sich damit zufrieden gaben, die Kinder mehr oder weniger allein aufzuziehen, sind vorbei. Wenn wir es nicht schaffen, als Väter die bloße "Ernährer-Rolle" zu überwinden und in der Familie und für die Kinder mehr präsent zu sein, wird es unter anderem immer weniger Kinder geben - mit all den bedrohlichen Folgen, die die Bevölkerungsexperten heute schon an den Horizont malen. Um das zu schaffen, braucht es zweifellos viel gesellschaftliche Unterstützung und einen teilweisen Umbau der heutigen Arbeitswelt. Damit so weitgehende Veränderungen möglich werden, braucht es aber vor allem eines: Einen Bewusstseinswandel bei uns, den Männern. Mein Wunsch ist, dass meine Ausführungen einen kleinen Beitrag dazu leisten.

Hans Jellouschek